Gerichtsverfahren

Urteilsbegründung

Handschriftlicher Vermerk:

Vernichten 1975
Das Urteil ist am 12.5.44 durch Erschießen vollstreckt.
Kielcher 24.5.44
Mar.Just.Inspekt.

Gericht des Führers
der Unterseeboote West.
ST L J I 9/44,

Mit den Gründen und der richterlichen
Unterschrift zu den Akten
gebracht am 29. Januar 1944.

An Bord, den 31. Januar 1944
Brand (eigenhändige Unterschrift)
Marinejustizoberinspektor

Bordurteil.

IM NAMEN DES DEUTSCHEN VOLKES !

In der Strafsache gegen den Oberleutnant zur See Oskar Kusch Kommandant
„U 154“ der 2. Unterseebootsflottille, wegen Zersetzung der Wehrkraft und Verbrechens gegen die VO über ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vom 1.9.1939 hat ein am 26. Januar 1944 in Kiel auf Befehl des Gerichtsherrn und F.d.U.West zusammengetretenes Bordkriegsgericht, an dem teilgenommen haben als Richter: Marineoberkriegsgerichtsrat Hagemann, Verhandlungsleiter                                                                                     

Korvettenkapitän Dittmers, Oberleutnant zur See Westphalen, militärische Beisitzer,

als Vertreter der Anklage: Marinekriegsgerichtsrat Dr. Breinig,
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle: Marinejustizinspektor Koops

für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen fortgesetzter Zersetzung der Wehrkraft und wegen Abhörens von Auslandssendern zum Tode und zu 1 – einem – Jahr Zuchthaus verurteilt.
Daneben wird auf Verlust der Wehrwürdigkeit und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit erkannt.

Gründe:

Der Angeklagte Oberleutnant zur See Oskar Kusch wurde am 6. April 1918 zu Berlin als Sohn eines Versicherungsdirektors geboren. Nach Bestehen der Reifeprüfung am Hohenzollern-Gymnasium zu Berlin im Herbst 1936 war der Angeklagte zunächst ein halbes Jahr beim Reichsarbeitsdienst. Ostern 1937 trat er als Seeoffizieranwärter in die Kriegsmarine ein. Nach normaler Ausbildung und verschiedenen Kommandos an Bord und an Land wurde der Angeklagte am 1.4.1940 zur U.-Bootswaffe kommandiert. Nachdem er als Wachoffizier einige Fahrten auf den Booten des Korvettenkapitän Winter und des Kapitänleutnants Janssen gemacht hatte, wurde er am 15.2.1943 Kommandant von „U 154“, mit dem er im Jahre 1943 zwei Feindfahrten machte. Auf der ersten dieser beiden Fahrten versenkte er 3 Schiffe mit 22 000 BRT und torpedierte 3 weitere Dampfer mit rund 24 000 BRT. Auf der zweiten Feindfahrt versenkte er nichts.

Der am 1.9.1941 zum Oberleutnant zur See beförderte Angeklagte ist Inhaber des E.K.II und des U.-Bootskriegsabzeichens seit dem 10.11.41 und des E.K.I seit dem 24.6.42. Der Angeklagte wird als ausgezeichneter Offizier mit einwandfreier charakterlicher Veranlagung, grosser Begabung und schneller Auffassungsgabe beurteilt.

Vor seinem Eintritt in die Kriegsmarine hat der Angeklagte vorübergehend der Hitlerjugend angehört, in die die zur bündischen Jugend gehörende „Deutsche Freischar“, der er seit 1928 angehörte, bei der Machtübernahme überführt wurde. Als 1935 die Schar, der der Angeklagte angehörte, aufgelöst wurde, trat der Angeklagte aus der Hitlerjugend aus. Der N.S.D.A.P. hat er nicht angehört.

Er ist gerichtlich und disziplinar nicht bestraft.

In der Hauptverhandlung wurde auf Grund der Angaben des Angeklagten und der eidlichen Bekundungen der Zeugen Oberleutnant zur See Dr. Abel – I.W.O. des Angeklagten – und Meyer – II.W.O. des Angeklagten Oberleutnant (Ing) D r u s c h e 1 – L.I. des Angeklagten – und Stabsarzt Dr. N o t h d u r f t, der die zweite Feindfahrt als Bootsarzt mitmachte, sowie der verlesenen und zum Gegenstand der Verhandlung gemachten eidlichen Bekundungen des Oberleutnants zur See Funke und der uneidlichen Aussagen der Oberfähnriche zur See Kirchhammer und Fröhlich, des Korvettenkapitän Winter und des Kapitänleutnant Janssen folgender Sachverhalt festgestellt:

1 .) Als der Angeklagte im März 1943 als Kommandant das Boot „U 154“ übernahm, befahl er gleich beim Einsteigen in Gegenwart der Zeugen Abel und Druschei, das in der Messe hängende Führerbild zu entfernen, wobei er nach der übereinstimmenden Bekundung beider Zeugen den Ausdruck gebrauchte: „Nehmt das mal dort weg, wir treiben hier keinen Götzendienst“. Anstelle des Führerbildes wurde ein von dem Angeklagten gemaltes Seestück aufgehängt, während der Angeklagte sich um das Führerbild weiter nicht kümmerte, das später an anderer Stelle in der Messe einen Platz fand.

Der Angeklagte bestreitet zwar, die von den Zeugen bekundeten Äusserungen in diesem Zusammenhang gemacht zu haben, musste aber einräumen, den Befehl zum Abnehmen des Bildes gegeben zu haben. Er begründet seine Massnahme damit, dass er das Bild des Führers auch auf seinem früheren Boot an anderer Stelle gehabt habe.

2.) Auf beiden Feindfahrten hat der Angeklagte bei den häufig stattfindenden Unterhaltungen mit den Offizieren des Bootes in der Messe Äusserungen gebraucht und Ansichten vertreten, die nach Auffassung der Zeugen nur auf eine Ablehnung der geltenden Regierungsform, der Partei und ihrer Einrichtungen durch den Angeklagten schliessen lassen. So bekunden die Zeugen Abel und Druschei, dass der Angeklagte im Rahmen eines Gesprächs über die allgemeine Lage geäussert habe, nur der Sturz Hitlers und seiner Partei könne dem deutschen Volke einen Frieden und einen kulturellen Aufstieg bringen. Nur wenn das deutsche Volk die Kraft zu einem solchen Umsturz aufbringe, würden die anderen Mächte zu einem Frieden mit Deutschland bereit sein. Das Volk leide schwer unter der Last des jetzigen Regimes und erst dessen Beseitigung werde die wahren Kräfte des Volkes zur Entfaltung bringen. Obwohl die Zeugen dem Angeklagten wegen dieser Äusserungen mit aller Schärfe entgegentraten und versuchten, ihn von solchen Dingen abzubringen, vertrat der Angeklagte hartnäckig diese seine Meinung. Er steigerte diese dann noch dahin, dass er die Ablösung des Führerstaates unter Adolf Hitler durch eine Militärdiktatur für notwendig halte, die er im übrigen für nahe bevorstehend ansehe. Er brachte weiter in diesem Gespräch zum Ausdruck, dass er an den Endsieg nicht mehr glaube, da mit zunehmender Dauer des Krieges die Überlegenheit der Feindmächte auf dem Gebiete der Rohstoffe immer mehr zunehme. Auf den Einwand des Zeugen Abel, dass doch auch wir noch allerhand hinter der Hand hätten, meinte er etwa wörtlich: „Sie mögen das ja glauben. Ich will ja auch hoffen, dass es klar geht; aber ich glaube es nicht! “

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung erklärt, dass diese Äusserungen, die er gemacht haben mag, von den Zeugen missverstanden sein müssten. Bei der Besprechung der allgemeinen Lage habe er dafür Sorge getragen, dass alle Möglichkeiten erörtert würden. Dabei habe er auch zum Ausdruck gebracht, dass in Partei und Staat nach seiner Auffassung gewisse Misstände herrschten, deren Beseitigung wertvolle Kräfte freiwerden liesse. Er habe keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass er an den Endsieg nicht glaube, sondern habe seine Offiziere nur auf die noch zu überwindenden Schwierigkeiten hinweisen wollen.

Demgegenüber haben nicht nur die beiden Zeugen Abel und Druschel, sondern auch der Zeuge Meyer und der Zeuge Nothdurft, die alle einen vorzüglichen Eindruck machten und an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln nicht der mindeste Anlass besteht, eidlich erklärt, dass die Äusserungen des Angeklagten völlig unmissverständlich und eindeutig gewesen seien. Der Zeuge Meyer, der nur an der ersten Feindfahrt teilnahm und vom dem der Angeklagte bekundet hat, dass er der einzige seiner Offiziere gewesen sei, der ihm menschlich nahestand, hatte denselben Eindruck wie seine Kameraden. Insbesondere hat dieser Zeuge angegeben, dass der Angeklagte von zwei Strömungen im Volke gesprochen und die Meinung vertreten habe, dass dieser Krieg nur dann klar gehen könne, wenn die den Nationalsozialismus ablehnende Strömung baldigst an die Macht käme. In einem Gespräch mit dem Zeugen Nothdurft auf der zweiten Feindfahrt äusserte der Angeklagte etwa wörtlich: „Warum haben wir denn diesen Krieg? Nur weil der Grössenwahnsinnige ganz Europa schlucken will! Warum beenden wir diesen Krieg nicht!“ Wie sehr diese Äusserungen des Angeklagten auf die Offiziere des Bootes wirkten, beweist schlagartig der Umstand, dass der Zeuge Druschel, nachdem er eines abends von seiner Koje aus wiederum Ohrenzeuge abfälliger Kritiken des Angeklagten an der jetzigen Führung gegenüber dem Stabsarzt Nothdurft war, auf die Brücke stürzte und dort gegenüber dem Zeugen Abel den Vorfall schilderte und hinzufügte, dass er dem Angeklagten am liebsten eine geknallt hätte.

3 .) In der Funkpresse des Bootes erschien eines Tages unter der Rubrik „Witze“ folgendes: „Frage: Was hat das deutsche Volk mit einem Bandwurm gemeinsam? Antwort: Sie sind beide von brauner Masse umgeben und ständig in Gefahr, umgebracht zu werden.“ Der Angeklagte hatte diesen „Witz“ dem Funkpersonal erzählt und nicht verhindert, dass dieses geschmacklose und für die Funkpresse völlig ungeeignete Machwerk in der Presse aufgenommen wurde.

4 .) Über den Führer selbst äusserte sich der Angeklagte im Laufe eines Gesprächs, das nach Auffassung des Angeklagten von dem Thema „Genie und Wahnsinn“ ausging, der Führer sei ein wahnsinniger Utopist. Aus Kreisen, die es wissen müssten, habe er gehört, dass der Führer an Anfallen leide, hierbei die Gardinen von den Fenstern risse und sich auf dem Boden wälze. Er fügte hinzu, dass der Führer den Krieg bewusst vom Zaune gebrochen und seit der Machtübernahme bewusst mit dem Krieg gespielt habe. Diese von den Zeugen Abel und Druschel bekundeten Äusserungen hat der Angeklagte im wesentlichen nicht bestritten.

5 .) Auch über die Propaganda äusserte sich der Angeklagte laufend abfällig. So rief er zweimal die an Bord befindlichen Zeugen Kirchhammer und Fröhlich zu sich und sagte zu ihnen, dass sie den Wert der Propaganda nicht überschätzen, sondern sich lieber eine eigene Meinung bilden sollten. In anderem Zusammenhang äusserte er speziell, dass es ein Weltjudentum, von dem die Propaganda dauernd spräche, gar nicht gäbe. Auch die Freimaurerei werde überschätzt. Wenn unsere Propaganda die Angriffe der feindlichen Luftwaffe auf deutsche Städte als Terrorangriffe bezeichnete, so halte er das ebenfalls nicht für richtig. Die feindliche Luftwaffe, davon sei er überzeugt, wolle in erster Linie militärische Ziele und Rüstungsfabriken treffen. Dabei lasse es sich natürlich nicht vermeiden, dass auch Zivilpersonen und Wohnviertel getroffen würden. Selbst als der Zeuge Abel, der durch die schweren Terrorangriffe auf Hamburg bombengeschädigt war, dieser Ansicht scharf entgegentrat, blieb der Angeklagte dabei, dass gerade bei Hamburg von Terrorangriffen nicht gesprochen werden könne.

6 .) Als auf der ersten Feindfahrt der B.d.U. den Booten unter dem Kennwort „Rose“ verschiedene aufmunternde und zum Durchhalten auffordernde Funksprüche machte, äusserte sich der Angeklagte hierzu, dass jeder dieser Funksprüche eine Sklavenpeitsche sei und es sich nur um Sklavenantreiberei handele. Der Einlassung des Angeklagten, dass er nur von Aufpeitschen gesprochen haben könne, stehen die klaren Bekundungen der Zeugen Abel und Druschei gegenüber, die sich noch genau des Wortlautes erinnern.

Aus allen diesen Äusserungen gewannen die Zeugen den Eindruck, dass der Angeklagte an einen Sieg der deutschen Waffen nicht mehr glaubte und dass er die herrschende Regierungsform ablehnte. Das ergibt sich auch daraus, dass der Angeklagte angab, nach dem verlorenen Krieg auswandern zu wollen. Sämtliche Zeugen haben immer wieder versucht, den Angeklagten von seiner Meinung abzubringen. Dies war aber nicht möglich, zumal der Angeklagte den Zeugen leicht über den Mund fuhr und ihre Meinung mit Ausdrücken wie „Unsinn“ und „Dummes Zeug“ abgetan hat. Als der Zeuge Nothdurft den Angeklagten durch die Frage, was ihm denn bei solcher Einstellung eigentlich noch die Kraft gebe U.-Boot zu fahren, auf das Abwegige seiner Meinung hinwies, antwortete er etwa: „Ein gewisses Pflichtgefühl.“ Selbst die beiden Zeugen Kirchhammer und Fröhlich, die nur selten bei diesen Gesprächen zugegen waren, gewannen aus den Unterhaltungen, die sie mit anhören konnten, den Eindruck, dass der Angeklagte gegen den Nationalsozialismus eingestellt sei. Insbesondere der Zeuge Fröhlich hat die Unterhaltung mit dem Angeklagten, zu der er mit seinem Kameraden Kirchhammer befohlen war, nicht nur dahingehend verstanden, dass sie sich mehr mit den täglichen Dingen befassen sollten, um eine eigene Meinung zu gewinnen, sondern dass der Angeklagte die Propaganda schlechtweg ablehnte. Er erinnert sich der Worte des Angeklagten, dass sie sich durch „das Geschwätz“ nicht beeinflussen lassen sollten.

Wenn auch diese Unterhaltungen im allgemeinen in der Offiziersmesse und nur selten auf der Brücke stattfanden, so konnten nach übereinstimmender Bekundung der Zeugen ausser den Offizieren auch der Koch, der Offiziersbackschafter und der Horcher, dessen Schapp in die Offiziersmesse hineinragt, diese Unterhaltungen hören. Wie der Zeuge Abel bekundet, spotteten die Soldaten auch auf der Brücke über die Einstellung des Kommandanten. So äusserte einmal ein Soldat, als eine Meldung nach oben gegeben wurde, auf den Kommandanten gemünzt, dass wir den Krieg ja doch verlieren würden, worauf eine allgemeine Lachsalve einsetzte.

III. Wie der Angeklagte nicht in Abrede stellt, hat er auf beiden Fahrten mehrfach den ausländischen Nachrichtendienst, in erster Linie Mexico-City und New-York abgehört und die durch diese Sender gegebenen Meldungen mit seinen Offizieren  besprochen, wobei er es nicht unterliess zum Ausdruck zu bringen, dass diese Meldungen erheblich von den deutschen abwichen und zum Nachdenken Veranlassung gäben.

IV. Dieser Sachverhalt erfüllt den Tatbestand der § 5 Abs. 1 Ziffer 1 Satz 2 KSSVO und § 2 der VO über ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vom 1.9.1939 (RGB1.I Seite 1683).

Was die Zersetzung der Wehrkraft anbelangt, so ist es nicht zweifelhaft,dass die zahlreichen abfälligen und kritischen Äusserungen des Angeklagten objektiv den angebebenen Tatbestand des § 5 KSSVO erfüllen. Wenn die Verteidigung eine strafbare Handlung überhaupt verneint, weil der Angeklagte auf dem U.-Boot nicht öffentlich gehandelt habe, so ist diese Auffassung irrig und insbesondere mit militärischen Belangen nicht vereinbar. Der Ausgangspunkt, dass das Boot seiner Beschaffenheit und Zweckbestimmung nach dem öffentlichen Verkehr entzogen ist und dass deshalb auf ihm nicht öffentlich gehandelt werden könne, ist falsch. Die Äusserungen des Angeklagten fielen zumeist in der Offiziersmesse, wo sie nur für Offiziere bestimmt waren. Von der Messe und nicht vom Boot ist auszugehen, wenn der Tatort zur Begründung der Öffentlichkeit herangezogen wird. Die hier gefallenen Äusserungen waren nicht nur dem Offizierkorps des Bootes, sondern darüber hinaus auch dem Koch, dem Offiziersbackschafter und dem Horchposten wahrnehmbar, dessen Schapp in die Offiziersmesse hineinragt, sowie Soldaten, die der Weg an der Messe vorbeiführte. Das genügt, um ein öffentliches Handeln des Angeklagten zu begründen, ohne dass es einer Ausdehnung oder Auslegung des Begriffs der Öffentlichkeit wie sie für das Friedensstrafrecht bestand, bedarf. Auf jeden Fall aber handelte der Angeklagte öffentlich im Sinne der diesem Begriff gegebenen weiten Auslegung durch das Reichskriegsgericht (vgl. RKGBnd. 2 S. 60-62).

Nach dem, wie sich die Persönlichkeit des Angeklagten dem Bordkriegsgericht darstellte, ist das Gericht davon überzeugt, dass der Angeklagte nicht darauf aus gegangen ist, den Führer zu verunglimpfen und gegen das Regierungssystem und die politische und militärische Führung Stimmung zu machen, um dadurch auf eine Zersetzung des Widerstandswillens des deutschen Volkes hinzuwirken. Der Angeklagte ist, wie oben ausgeführt, ein bewährter U.-Bootsoffizier, der als Wachoffizier bei mehreren Kommandanten hervorragenden Kampfgeist und beispielhafte Einsatzbereitschaft bewiesen hat und der auf zwei Feindfahrten als Kommandant ein gutes Versenkungsergebnis erzielte, für das er mit dem E.K.l ausgezeichnet wurde. Er wird von seinen Vorgesetzten als intellektueller, schöngeistiger Ästhet bezeichnet, der sich gerne zurückzieht, um für sich allein ein gutes Buch zu lesen und sich weiterzubilden. Dem Angeklagten ist eine Zersetzungsabsicht auf Grund seiner Persönlichkeit nicht ohne weiteres zuzutrauen. Es war deshalb für das Bordkriegsgericht nicht leicht, über die inneren zur Tat führenden Vorgänge bei dem Angeklagten Klarheit zu gewinnen, zumal der Angeklagte selbst hierüber nur wenig gesagt hat.

Die Einlassung des Angeklagten, dass er im Gespräch mit den Offizieren seine Äusserungen nur gemacht habe, um das Gespräch zu beleben und um Opposition zu betreiben, ist von vornherein unglaubwürdig. Das Bordkriegsgericht ist der Auffassung, dass der Angeklagte zu Beginn des Jahres 1943 nach Eintritt der militärischen Rückschläge auf verschiedenen Kriegsschauplätzen den Glauben an den Endsieg verloren hat. Unter dem Eindruck von Stalingrad und den Ereignissen in Nordafrika wurde er kleingläubig und schwach. Seine liberalen Tendenzen, die ihn 1935 auch aus der H.J. herausführten, als seine aus der deutschen Freischar überführte Gruppe aufgelöst wurde, gewannen wieder die Oberhand und in  dieser seelischen Lage gab er der Ablehnung des Nationalsozialismus, seiner Einrichtungen und seines Führers in einer Weise Ausdruck, die nur so zu erklären ist, dass er bei der gegenteiligen Einstellung seiner Offiziere seine eigene Auffassung schärfer und betonter zum Ausdruck brachte, als sie eigentlich war. Nach dem Inhalt der festgestellten Äusserungen und bei Berücksichtigung des Bildungsgrades des Angeklagten war es dem Bordkriegsgericht nicht zweifelhaft, dass sich der Angeklagte voll darüber im Klaren war, dass seine Äusserungen geeignet waren, wehrkraftzersetzend zu wirken. Dies ist aber nach der herrschenden Rechtsprechung für die innere Tatseite ausreichend.

Denn, wie das Reichsgericht (RKG 2 S. 43) zutreffend ausführt, sind nicht nur Handlungen gefahrvoll, die unmittelbar auf die Zersetzung der Wehrkraft gerichtet sind und zu diesem Zweck vorgenommen werden, sondern in nicht geringerem Masse auch solche von Tätern, die eine wehrkraftzersetzende Wirkung ihres Verhaltens zwar nicht beabsichtigen, aber sie klar erkennen, ohne sich hierdurch von der Tat abhalten zu lassen. Danach war festzustellen, dass der Angeklagte mit dem zur Erfüllung des Tatbestandes erforderlichen und ausreichenden Vorsatz, der Wehrkraftzersetzung gehandelt hat.

Nach § 1 der Verordnung über ausserordentliche Rundfunkmassnahmen ist das absichtliche Abhören ausländischer Sender, nach § 2 die vorsätzliche Verbreitung von Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, verboten. Der Gerichtsherr verfolgt die Fälle des § 1 auf Grund des § 5 Abs. 2 der 1. Durchführungsverordnung der VO über ausserord. Rundfunkmassnahmen v. 11.9.1939 u.a., wenn besondere Belange der Wehrmacht eine Bestrafung des Täters erfordern. Das Verbot des Abhörens ausländischer  Sender gilt für alle Soldaten, auch für Offiziere. Für die U.-Bootskommandanten hat jedoch der Befehlshaber der Unterseeboote im Jahr 1942 erlaubt, auf Feindfahrt auch dem ausländischen Rundfunk Nachrichten zu entnehmen, die zu ihrer Unterrichtung über die Lage notwendig sind (B.d.U. B.Nr. 4884 A4a v. 26.8.1942 in Verbindung mit O.K.M. AMA/M Wehr II b Nr. 8100/42 v. 27.7.1942). Wenn auch der Angeklagte diese Erlaubnis missbrauchte, indem er auch Sendungen abhörte, die ausserhalb des Rahmens der ihm gestellten operativen Aufgaben lagen, so ist der Tatbestand des § 1 a.a.O. nicht erfüllt, weil dem Angeklagten insoweit das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlte.

Wenn der Angeklagte jedoch dem Nachrichtendienst der abgehörten ausländischen Sender Meldungen und Nachrichten entnahm, die im hohen Masse geeignet und dazu bestimmt sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, und diese unter Gegenüberstellung zu den von der deutschen Propaganda verbreiteten Meldungen im Kreise der Offiziere des Bootes eindeutig dahin besprach, dass er ihnen mehr Glauben schenkte als unseren, so ist der Angeklagte des Verbrechens nach § 2 a.a.O. schuldig.

V. Der Angeklagte war somit wegen fortgesetzter Zersetzung der Wehrkraft und wegen Vergehens gegen die VO über ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vom 1.9.1939 zu bestrafen. Der Angeklagte ist zwar ein bis zu seinen Straftaten hervorragend beurteilter und tüchtiger, einsatzbereiter Offizier und erfolgreicher U.-Bootfahrer gewesen. Trotzdem glaubte das Bordkriegsgericht nicht, einen minder schweren Fall annehmen zu können. Dies Verbot einmal die Häufung der von dem Angeklagten gebrauchten zersetzenden Äusserungen, die selbst vor der Person des Führers nicht haltmachten und die zum Teil hochverräterischen Charakter trugen, zum anderen, dass gerade zersetzende Äusserungen von sonst gut beurteilten und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten geeignet sind, besonders grosse Gefahren hervorzurufen.

Das Gericht hat deshalb wegen der fortgesetzten Zersetzung der Wehrkraft auf Todesstrafe erkannt.

Wegen der Verbreitung der dem ausländischen Nachrichtendienst entnommenen Meldungen und Nachrichten glaubte das Gericht mit der Mindeststrafe  von 1 Jahr Zuchthaus auskommen zu können, weil diese Straftat im Verhältnis zu den anderen von minderer Schwere ist.
Auf Verlust der Wehrwürdigkeit war nach § 31 M.St.G.B., auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach § 32 R.St.G.B. zu erkennen.

Hagemann 29/1.

Zersetzung der Wehrkraft

Die „Wehrkraftzersetzung“ bezeichnete einen schwerwiegenden Straftatbestand im nationalsozialistischen Deutschland, der unter Androhung der Todesstrafe stand. Dieser Tatbestand wurde 1938 in der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) neu formuliert und kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 26. August 1939 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht. Handlungen, die als Wehrkraftzersetzung galten, umfassten unter anderem die Verweigerung des Kriegsdienstes, defätistische Äußerungen sowie Selbstverstümmelung oder das Vortäuschen von Krankheiten.

Die Befürworter der NS-Militärjustiz hatten bereits ab etwa 1934 die Einführung eines solchen Tatbestands gefordert, um das Wehrrecht zu ergänzen. Ihr Ziel war es, Ereignisse wie die Novemberrevolution von 1918 mit strafrechtlichen Mitteln zu verhindern und „revolutionäre Erscheinungen“ sowie „seelische Zersetzung“ zu unterdrücken.

Die vage Formulierung des Gesetzes, die weitreichende Auslegung des Begriffs „Öffentlichkeit“ und die Orientierung am „gesunden Volksempfinden“ ermöglichten zahlreiche Urteile mit äußerst harten Strafen, die für viele Deutsche als Inbegriff des Terrors galten.

In § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (RGBl. I 1939, S. 1455) werden die umfassenden Merkmale beschrieben, die eine „Zersetzung der Wehrkraft“ ausmachen:

„1. Wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht;

2. wer es unternimmt, einen Soldaten oder Wehrpflichtigen des Beurlaubtenstandes zum Ungehorsam oder zur Widersetzung oder zur Tätlichkeit gegen einen Vorgesetzten oder zur Fahnenflucht oder unerlaubten Entfernung zu verleiten oder sonst die Manneszucht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu untergraben;

3. wer es unternimmt, sich oder einen anderen durch Selbstverstümmelung, durch ein auf Täuschung berechnetes Mittel oder auf andere Weise der Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen.“

§ 5 der Kriegssonderstrafverordnung leitet noch vor der Auflistung der Tatbestände mit der Strafandrohung der Todesstrafe ein. Erst nach der Aufzählung der Tatbestandsmerkmale folgen Einschränkungen des Strafmaßes für minder schwere Fälle:

„(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft:

[… Aufzählung der Tatbestandsmerkmale]

(2) In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.

(3) Neben der Todes- und der Zuchthausstrafe ist die Einziehung des Vermögens zulässig.

(4) Wer leichtfertig unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die dazu bestimmt sind, sich oder einen anderen von der Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeitweise freistellen zu lassen, wird mit Gefängnis bestraft.“

Durch mehrere Zusätze gemäß § 5a wurden die Strafen verschärft und der Ermessensspielraum der Richter erweitert. Die Erste Verordnung zur Ergänzung der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 1. November 1939 (RGBl. I, S. 2131) erlaubte die Abweichung vom üblichen Strafrahmen und ermöglichte sogar die Verhängung der Todesstrafe, falls „die Aufrechterhaltung der Mannszucht oder die Sicherheit der Truppe dies erforderte“. Mit der Vierten Ergänzungsverordnung vom 31. März 1943 (RGBl. I, S. 261) wurden rückwirkend auch Beschuldigte einbezogen, wenn sie „einen besonders schwerwiegenden Schaden für die Kriegsführung oder die Sicherheit des Reiches“ verursacht hatten. Es oblag dem Richter, über den regulären Strafrahmen hinauszugehen, wenn dieser „nach dem gesunden Volksempfinden“ nicht ausreichte, um Sühne zu leisten. In einer Fünften Verordnung zur Ergänzung der Kriegssonderstrafverordnung vom 5. Mai 1944 (RGBl. I, S. 115) wurde dies auch für fahrlässige Handlungen zugelassen, sofern dadurch ein besonders schwerwiegender Schaden verursacht wurde.

Die Zuständigkeit der Gerichte wurde zu Kriegsbeginn gemäß der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) festgelegt, wobei die Feldkriegsgerichte und das Reichskriegsgericht für alle Fälle von Wehrkraftzersetzung zuständig waren. Durch die 7. Durchführungsverordnung zur KStVO vom 18. Mai 1940 (RGBl. I, S. 787) wurde die alleinige Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts bei Fällen von Wehrkraftzersetzung eingeschränkt. Angelegenheiten bezüglich Kriegsdienstverweigerung fielen weiterhin unter die Militärgerichtsbarkeit. Das Reichsjustizministerium übertrug am 17. Mai 1940 die Zuständigkeit für Zivilpersonen in anderen Fällen zunächst auf die Sondergerichte und Strafsenate der Oberlandesgerichte. Durch eine Verordnung vom 29. Januar 1943 (RGBl. I, S. 76) erhielt der Volksgerichtshof grundsätzlich die Zuständigkeit für alle Fälle von „öffentlicher Zersetzung“ sowie – auf Antrag – auch für Fälle „vorsätzlicher Wehrdienstentziehung“ gemäß § 5 Absatz 1 Nr. 1 und 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung.

Nach vorsichtigen Schätzungen wurden von zivilen Gerichten 16.560 Todesurteile verhängt, darunter viele gegen Polen aus den eingegliederten Ostgebieten und Ausländer. Allein der Volksgerichtshof verurteilte bis zum Ende des Jahres 1944 insgesamt 5.214 Personen zum Tode. Eine vollständige Aufstellung der wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode Verurteilten fehlt. Der Volksgerichtshof, der ab Anfang 1943 hauptsächlich für Fälle von „öffentlicher Zersetzung“ zuständig war, verhängte bis Januar des folgenden Jahres 124 Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung. Auch die Informationen von Standgerichten sind nur unvollständig überliefert. Der Vorwurf spielte auch bei den Endphaseverbrechen kurz vor Kriegsende oft eine Rolle.